Vor Ort

Im fachlichen Austausch

Verein „Kieler Ärzte für Afrika“ engagiert sich in Tansania

Text: Benjamin Hellwig
Fotos: Kieler Ärzte für Afrika e.V.

Dr. Leimenstoll mit dem Clinical Officer einer weiteren Dispensary in Uchira

Seit zehn Jahren unterstützen Mitglieder des Vereins „Kieler Ärzte für Afrika“ die medizinischen Kollegen in einer Arztpraxis und einem Krankenhaus im ländlichen Nordosten Tansanias. Im Vordergrund des Engagements steht die Hilfe zur Selbsthilfe mittels ärztlichem Know-how, Geld- und Sachspenden. Ein großes Ziel: die medizinische Grundversorgung der dort lebenden Menschen.

Wer beispielsweise zwischen Niebüll und Husum nach einem Unfall medizinische Hilfe benötigt, wählt 112. In kürzester Zeit gelangen Notärzte per Krankenwagen oder Rettungshubschrauber zur Unfallstelle. Was in Deutschland alltäglicher Standard ist, steht in krassem Gegensatz zu den Verhältnissen im ländlichen Tansania in Ostafrika. „Dort muss sich jemand vor Ort deiner erbarmen, dich auf die Ladefläche seines eigenen Fahrzeugs hieven und in eine Versorgungsstation fahren – und darauf setzen, dass diese so ausgestattet ist, dass dir geholfen werden kann“, sagt Dr. Klaus Jessen. Die mitunter beschwerliche Fahrt über unbefestigte Straßen könne selbst für kürzere Distanzen Stunden dauern. Der Kieler Gastroenterologe im Ruhestand sitzt in seinem Wohnzimmer unweit der Kieler Park-Klinik in der Goethestraße. Er kennt die Struktur des Gesundheitswesens in Tansania aus zahlreichen Gesprächen und Beobachtungen bei Projektbesuchen. Zusammen mit rund 50 weiteren schleswig-holsteinischen Medizinern engagiert er sich mit „Kieler Ärzte für Afrika e.V.“ (KÄfA) im Distrikt Moshi Rural im Nordosten des Landes. Ziel des Vereins: die strukturelle Verbesserung der medizinischen Versorgung in der Region nahe des Kilimandscharo.

Dr. Klaus Jessen und Dr. Gerd Leimenstoll vor der Kieler Park-Klinik

„Im Austausch mit den Menschen vor Ort haben wir erfahren, dass die Bevölkerung zunächst eine gute medizinische Grundversorgung benötigt – damit die Routineeingriffe geleistet und die Mütter- und Kindersterblichkeit reduziert werden können“, sagt Jessen. Komplizierte Medizin sei hintenanzustellen, weil man damit die breite Masse schlechter behandeln würde, meint er. „Was bringt es, auf eine teure onkologische Behandlung eines 60-Jährigen zu setzen, wenn gleichzeitig die Mittel nicht da sind, mit denen man verhindert, dass Kinder an Masern sterben?“

Ein Fokus von KÄfA, 2008 von Ärzten der Kieler Einrichtungen „Park-Klinik“ und „abts+partner“ gegründet, liegt auf der Kirchengemeinde Uuwo. Sie ist Teil der Streusiedlung Mrimbo mit rund 10.000 Einwohnern. Aus einer einfachen Krankenstation hat sich hier – auch durch eine jahrzehntelange Partnerschaft Mrimbos mit der Kirchengemeinde Heikendorf bei Kiel – eine Dispensary entwickelt: eine kleine Ambulanz mit Labor und angeschlossener Apotheke. Hier führt das Personal medizinische Eingriffe durch, begleitet Geburten und leistet die basismedizinische Versorgung häufiger Krankheiten wie Malaria, Aids, Diabetes oder Bluthochdruck. Zwei Ärzte, eine Hebamme, drei Krankenschwestern und ein Laborant sind in Uuwo tätig. Von den verantwortlichen Menschen erfragen KäfA-Mitglieder bei Projektbesuchen in Tansania die Bedürfnisse der Einrichtung. Im Vordergrund des Vereins steht dabei die Hilfe zur Selbsthilfe mittels ärztlichem Know-how, Geld- sowie Sachspenden wie medizinischen Geräten und Materialien. „Wir reisen nicht nach Tansania, um Patienten zu versorgen“, stellt Jessen klar. Die Arbeiten dort selbst in die Hand zu nehmen, sieht der Verein nicht als richtigen Weg an. „Viel wichtiger ist es, das dortige System zu verstehen und immer wieder zu erfragen, wie die Kollegen die Herausforderungen bewältigen wollen. Dann kann man darüber zusammen diskutieren.“

Der Innenhof des Kilema Hospital im Distrikt Moshi Rural
Anzeigetafel der Dispensary von Uuwo mit Diagnostikangebot

„Ultraschall ist eine Methode in der Medizin, die sehr hilfreich ist, beispielsweise in der Schwangerenbetreuung oder bei Notfällen wie Blutungen in den Bauchraum beispielsweise bei einem Milzriss“, sagt Jessen. „Du kannst schnell feststellen, ob dein Patient gefährdet ist und in eine Großklinik muss, oder ob die Behandlung in der Dispensary möglich ist.“ Der 71-Jährige berichtet, dass sie immer wieder in Deutschland ausrangierte, funktionsfähige Geräte als Spende erhalten. Über eine Hamburger Reederei verschifft KÄfA die Güter in die tansanische Hafenstadt Daressalam, wo sich die Partner um die Abholung kümmern. „Das funktioniert gut, vor allem, weil die Menschen, die diese Geräte heute benutzen, zuvor von Kollegen ausgebildet wurden“, sagt er. Im März 2018 wird Jessen zusammen mit dem zweiten Vorsitzenden des Vereins Dr. Gerd Leimenstoll erneut nach Tansania aufbrechen. Ziel der Projektreise ist unter anderem die Begutachtung des Rohbaus eines Personalwohnhauses neben der Dispensary. KÄfA fördert die Errichtung mit finanziellen Mitteln, die der Verein zuvor als Spenden erhalten hat. „Als uns Kollegen vor Ort mitteilten, dass der Dispensary das Personal wegläuft und immer wieder Mitarbeiter fehlen, gab es vom Verein die Idee, den Menschen mit einem solchen Haus einen Anreiz zu verschaffen, langfristig vor Ort zu bleiben“, sagt Jessen. Es sei ein ausgeprägtes Problem in Tansania, dass qualifizierte medizinische Fachkräfte von überregionalen Einrichtungen des Landes abgeworben werden. Auch im angrenzenden Kenia bezahle man besser als in Tansania. So breche die oftmals mühsam aufgebaute Personalstruktur immer wieder zusammen.

„Wir ermutigen unsere Kollegen, junge Ärzte auf Visite mitzunehmen. Das ist sehr wirkungsvoll und einfach umzusetzen.“

Dr. Klaus Jessen
Ende des sonntäglichen Kindergottesdienstes auf dem Kirchenvorplatz von Uuwo

Möglichen lukrativeren Angeboten von außen setzte der Verein zunächst eine Lohnaufstockung der in Uuwo angestellten Fachkräfte von 100 bis 200 Euro monatlich entgegen. Eine Maßnahme, die KÄfA auch im elf Kilometer entfernten Regionalkrankenhaus von Marangu unternimmt, um dort das Personal zu halten. Der Verein unterstützt das Krankenhaus zudem mit Fortbildungen, und Infrastrukturhilfe. Auch Beratungen zum Thema Organisation eines Gesundheitsbetriebs laufen. Dabei gehe es auch um kleine Impulse für den täglichen Ablauf. „Wir ermutigen beispielsweise unsere Kollegen, junge Ärzte auf Visite mitzunehmen. Das  ist sehr wirkungsvoll und einfach umzusetzen“, sagt Jessen. Das Krankenhaus verfügt über eine kleine, für die Region bedeutende, primärchirurgische Abteilung. Ärzte führen Kaiserschnitte durch und operieren akute Blinddarmentzündungen oder Leistenbrüche. Zudem können sie hier Patienten stabilisieren und bei Bedarf in die 45 Kilometer entfernte Universitätsklinik der Stadt Moshi fahren. „Solche Verhältnisse kennen wir so ähnlich auch aus Deutschland. Und auch bei uns müssen wir nicht alle medizinischen Möglichkeiten an jedem Ort bereitstellen“, sagt Jessen.

„Die Versorgungsanforderungen werden in Folge eines beängstigenden Bevölkerungswachstums um einiges größer.“

Dr. Klaus Jessen
Vor Ort in Tansania

Von den Gehaltssubventionen allerdings will sich der Verein nach und nach wieder lösen. Die Dispensary in Uuwo und das Krankenhaus in Marangu sollen mittelfristig von KÄfA wirtschaftlich unabhängig sein. Strukurelle Veränderungen wie Ausstattung, Qualifikation und Wohnstätte am Arbeitsplatz sollen dem Personal die Möglichkeit geben, ihre Arbeit erfolgreich und damit langfristig leisten zu können.

Die Abwanderung aus Einrichtungen wie in Uuwo und Marangu trifft Regionen, die mit medizinischem Fachpersonal generell als unterversorgt gelten. Insbesondere im ländlichen Raum Tansanias fehlen Ärzte, Hebammen, Krankenschwestern. Ein Trend, der für den gesamten afrikanischen Kontinent gilt. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation WHO belegen zudem die ungleiche Verteilung in der Welt. Afrika trägt demnach 24 Prozent der weltweiten Krankheitslast, hat aber nur Zugang zu drei Prozent des globalen Gesundheitspersonals und zu weniger als einem Prozent der globalen finanziellen Ressourcen.

Das sind Zahlen, die in Zukunft noch an Schärfe gewinnen dürften. Die Entwicklungsrate in Tansania ist extrem. Jessen holt aus seinen Unterlagen eine Tabelle heraus. Bis 2030 rechnen WHO und UN für Tansania mit einem Anstieg von 57 auf 84 Millionen Einwohnern, bis 2050 auf 138 Millionen, ist darauf zu lesen. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist aktuell unter 15 Jahren. Es sei in der Entwicklungszusammenarbeit unerlässlich, diese demographischen Verhältnisse zu betrachten, meint er. „Die Versorgungsanforderungen werden in Folge dieses beängstigenden Bevölkerungswachstums um einiges größer“, sagt Jessen.

Gespendet aus Deutschland: Medizinische Instrumente

Entmutigen lasse er sich davon nicht, meint er: „Wenn ich in Uuwo oder Marangu entwicklungspolitisch tätig bin, muss ich den Impetus des Helfens rationaler sehen. Ich muss mit dem Verstand entscheiden, nicht mit dem Herzen. Das kenne ich aus meiner Zeit als praktizierender Arzt, und es trifft auch für mein Engagement mit KÄfA zu.“ Jetzt sei es wieder Zeit, aktiv zu werden. Zusammen mit Leimenstoll wird er erneut nach Tansania reisen, um die Menschen zu treffen, mit denen der Verein seit dann genau zehn Jahren im Austausch steht.

 

Weitere Informationen unter: www.kaefa.org und www.tansaniagruppe-heikendorf.de

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Als Expertin für internationale Kooperationen und Partnerschaften in der Entwicklungszusammenarbeit unterstütze ich Sie dabei, Projekte und Partner vor Ort zu finden und einen Austausch auf Augenhöhe zu gestalten.

    

 

Chiara Dickmann
Fachpromotorin für Internationale Kooperationen und Partnerschaften

KulturLife gemeinnützige Gesellschaft für Kulturaustausch mbH

www.bei-sh.org/globalepartnerschaften

 

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