Hintergrund

Brücken schlagen

Ein Kieler Fahrradhersteller, eine ghanaische Manufaktur und eine soziale NGO kooperieren

Text: Benjamin Hellwig
Fotos: Felix Pape, my Boo und Benjamin Hellwig

Unterwegs in Schleswig-Holstein: Das Modell my Afram Nexus

my Boo entwickelt und fertigt Fahrräder aus dem nachwachsenden Rohstoff Bambus. Das junge Kieler Unternehmen setzt zusammen mit seinen ghanaischen Partnerorganisationen Kreisläufe in Gang, von denen eine ganze Region profitiert. Den Gründern gelingt es, konkretes soziales Engagement in Ghana, ein innovatives Produkt und nachhaltiges wirtschaftliches Handeln erfolgreich miteinander in Einklang zu bringen.

Akklimatisieren im hektisch-lauten Accra, in den Linienbus gen Kumasi, per überfüllten Tro-Tro-Sammeltaxi über unbefestigte Landstraßen und schließlich zu zwölft auf der Ladefläche eines Pick-ups zum finalen Ziel: Wenn Maximilian Schay, Felix Habke und ihre Kollegen in die ländliche Region rund um das ghanaische Dorf Jamasi fahren, sind die Reisebedingungen westafrikanisch. Das Team des Kieler Bambusfahrradherstellers my Boo besucht dort maximal einmal im Jahr seinen Partner Boomers. Der Lieferant der Rahmen aus Bambus ist eigenständig und soll es, so Habke, auch bleiben, mit eigenen Entscheidungen und Fehlern. „Es ist eine Handelsbeziehung auf Augenhöhe“, kommentiert der 34-jährige Mitarbeiter im my Boo-Headquarter in der Kieler Hardenbergstraße.

Das Team von my Boo zu Besuch in Ghana

Die Beziehung zu den Menschen hinter der Bambusrahmenmanufaktur nimmt 2012 mit einem Foto aus der Ferne ihren Anfang. Ein Schulfreund von Schay ist als Reisender des „weltwärts“-Programms im ghanaischen Kumasi, sieht ein simpel zusammengebautes Bambusfahrrad, fotografiert es und schickt das Bild an Schay. Der beginnt gerade sein BWL-Studium in Kiel und lernt in dieser Zeit seinen heutigen Geschäftspartner und Gründerkollegen Jonas Stolzke kennen. Die beiden Studenten sind gleich auf einer Wellenlänge und entwickeln ein gemeinsames Ziel: ein Unternehmen zu gründen, das konkretes soziales Engagement, ein innovatives Produkt und nachhaltiges wirtschaftliches Handeln erfolgreich miteinander in Einklang bringt. Mit dem Foto beginnen sie, weltweit zum Thema Bambusfahrrad zu recherchieren. Über einen Universitäts-Professor aus den USA gelangen sie zu einem Schweizer, der sie wiederum zurück nach Ghana weiterleitet – nicht weit vom Ort des ersten Fotos, Kumasi, entfernt.

Vielfalt im Rohmateriallager

Als Schay und Stolzke noch im gleichen Jahr zum ersten Mal in Jamasi sind, besteht Boomers noch nicht. In der sozialen Inititative The Yonso-Project fertigen drei Menschen auf zehn Quadratmetern erste Fahrräder aus Bambusrahmen. Das Projekt ist zu dem Zeitpunkt noch komplett spendenfinanziert. Ziel der Einrichtung ist es bereits damals, im ländlichen Ghana Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und Frauen zu initiieren, damit diese die Chance erhalten, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Beim ersten Sondierungsgespräch mit Leiter Kwabena Danso über mögliche Aufträge für Bambusrahmen geht es auch darum, welche Löhne vor Ort fair und angemessen sind. „Wir haben bei diesen Gesprächen sehr viel gelernt, beispielsweise, dass derartige Strukturen am besten von Menschen festgelegt werden, die die Begebenheiten und das direkte Umfeld kennen“, sagt Schay. Als sie Ghana wieder verlassen, haben Schay und Stolzke den damaligen Lagerbestand von sechs Rahmen aufgekauft und im Gepäck. Eine Fahrradwerkstatt nahe Rendsburg schraubt für sie die ersten Räder zusammen. „Die Techniker riefen nach ein paar Tagen an und sagten, die Rahmen sähen mega aus, wir seien nette Jungs,die Idee sei spannend, aber aus diesen Exemplaren ließen sich keine funktionsfähigen Bikes bauen“, erinnert sich der 27-Jährige.

Die sozialen Projekte des „The Yonso-Project" profitieren von jedem verkauften Bambusrahmen

Heute stehen östlich von Jamasi vier große Gebäude, fast 40 junge Menschen arbeiten bei Boomers, der inzwischen aus der sozialen Initiative ausgegliederten Manufaktur. Das Gehalt der Belegschaft ist zwei- bis dreimal so hoch wie der Durchschnittslohn in Ghana. Die Menschen sind sozialversichert, mittags wird zusammen gegessen. Viele der Arbeitskräfte haben eine geringe Schulbildung und dadurch wenig Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt. Bei Boomers erhalten sie eine Ausbildung an allen Stationen und können im Unternehmen aufsteigen. Andere haben Geld sparen können und das Projekt inzwischen verlassen, um beispielsweise zu studieren.

„Die dörfliche Region soll sich von innen heraus so weiterentwickeln, dass es nicht nötig ist, diese eines Tages zu verlassen.“

Kwabena Danso
Auswahl der Hölzer nach der Trocknungszeit

my Boo kauft die Rahmen von Boomers zu überdurchschnittlichen Preisen. „Die Kosten eines Bambusrahmens liegen für uns im Bereich des Hundertfachen eines Stahlrahmens aus Taiwan“, kommentiert Schay die bewusste Entscheidung des Unternehmens. Die Kieler haben mit den ghanaischen Partnern langfristige Verträge geschlossen, garantieren die Abnahme fester Stückzahlen, zahlen bei finanziellen Engpässen auch mal einen Vorschuss. „Es ist viel mehr als eine klassische Handelspartnerschaft“, kommentiert er. Und ergänzt: „Wir sind mit Kwabena und seinem Team über WhatsApp, Email und Skype im täglichen Austausch.“ Kwabena Danso ist sowohl für Boomers als auch die Initiative The Yonso-Project zuständig und damit an der Schnittstelle der beiden sich gegenseitig befruchtenden Einheiten: Boomers bietet die Jobchancen, The Yonso-Project erhält die Überschüsse, die beim Fertigen der Bambusrahmen entstehen, für seine sozialen Projekte.

Meilensteine my Boo, The Yonso-Project und Boomers

2006: Gründung von The Yonso-Project durch Kwabena Danso 2012: Erster Impuls für die Gründung von my Boo durch ein Foto aus Ghana
2013: Kooperation zwischen my Boo und The Yonso-Project beginnt
2014: Gründung von Boomers, Beginn der Vergabe von Schulstipendien
2016: Baubeginn der Schule in Jamasi
2018: über 40 dauerhafte und fair bezahlte Arbeitsplätze in Ghana
2018: Preisträger des „Projekt Nachhaltigkeit“ (Gütesiegel vom Rat für nachhaltige Entwicklung und RENN.nord)
2018: Nominiert für den Nachhaltigkeitspreis
2019 in der Rubrik Unternehmenspartnerschaften (Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis)

Frisch geschlagener Bambus

Dieses Engagement bewertet Danso als großen Erfolg: Rund 500 Frauen auf dem Land profitierten bislang von Angeboten wie Businesstrainings oder Mikrokrediten. Einige von ihnen machen inzwischen ihren eigenen Gewinn, meint Danso. „Zudem haben bereits 400 benachteiligte Kinder aus der Region Schulstipendien erhalten, darunter viele, die heute ihren Schulabschluss in der Tasche haben. Sie hätten ohne diese Hilfe auf Bildungsangebote verzichten müssen“, sagt er. Aktuell fördert das Projekt ein Programm, das Schüler mit Fahrrädern ausstattet, um ihren Schulweg zu erleichtern. Zudem basteln Danso und das my Boo-Team gemeinsam an der Weiterentwicklung des sozialen Engagements. In der Bewertung fällt ihnen auf, dass die Unterstützung der Menschen im ländlichen Ghana noch langfristiger ansetzen muss, als bisher geschehen. Sie haben die Idee, „eine Schule für die nächste Generation zu bauen, deren Menschen frei denken und kritisch sind“, sagt Danso. Das Angebot soll sich einerseits an Kinder aus ärmeren Familien richten, die kostenlos den Unterricht nutzen können, zum anderen an Kinder aus reicheren Familien, die ein Schulgeld zahlen werden. „Die dörfliche Region soll sich von innen heraus so weiterentwickeln, dass es nicht nötig ist, diese eines Tages zu verlassen“, sagt Danso.

Mittagspause beim Besuch der Manufaktur in Ghana

Aktuell steht ein Rohbau der Schule. Die Finanzierung des letzten Bauabschnitts bezeichnet Danso als herausfordernd. Mit der Unterstützung von Boomers, my Boo und anderen wohltätigen Organisationen und Einzelpersonen konnten bereits Mittel gesammelt werden. „Für die letzte Bauphase aber benötigen wir noch rund 58.000 Euro, damit die Schule wie geplant im September 2019 ihren Betrieb aufnehmen kann“, sagt er.

„my Boo ist seit 2013 in eine GmbH umgewandelt. Aktuell gründen die Kieler einen gemeinnützigen Verein. „Damit wollen wir gewährleisten, dass die Schule lange Bestand hat, weil wir mit dem Bau auch eine große Verantwortung tragen“, sagt Schay. Der Bambusfahrradhersteller will mit dem Verein Spenden sammeln, um diese in geordneten Bahnen nach Ghana transferieren zu können. Zudem sollen GmbH und soziales Engagement klarer voneinander getrennt agieren können.

Der Rohstoff für die my Boo-Produktpalette kommt aus der Region, in der die sozialen Projekte angesiedelt sind. Der Bambus wächst in Ghana vielerorts wild. Danso kennt die Bauern, denen die Wälder gehören. Er kontaktiert sie, kündigt die Besuche an, dann wird die Pflanze von Hand mit der Machete geschlagen. „Er ist dann 20 bis 25 Meter hoch, hat einen bestimmten Durchmesser und Außenwandstärke, die wir vorgeben und über Jahre entwickelt haben. Aus technischen und optischen Gesichtspunkten“, sagt Habke im Kieler Showroom. Das Holz wird dann in bestimmte Längen zurechtgeschlagen und trocknet daraufhin etwa drei Wochen lang, bevor es zu einem Rahmen verarbeitet werden kann. Die Pflanze benötigt etwa zwei bis zweieinhalb Jahre, bis sie so nachgewachsen ist, dass man sie wieder nutzen kann.

Rund 80 Stunden Handarbeit stecken in einem Bambusrahmen

Die Ernüchterung über die mangelnde Symmetrie der ersten sechs Rahmen von 2012 ist bei den Machern von my Boo längst gewichen. „Diese frühen Versuche waren unser großes Glück, denn daraufhin haben wir unsere Rahmenlehren entwickelt“, sagt Habke. Der gesamte Fertigungsprozess läuft von Hand ab. Für den Bau kommen fünf kleine Metallkomponenten aus Aluminium hinzu, beispielsweise an Sattelrohr, Tretlager und dort, wo Gabel auf Rahmen trifft. Diese dienen als Fixpunkte sowie als Aufnahme für die technischen Teile des Fahrrads. Sie werden in der Rahmenlehre mit dem Bambus verklebt, der Rahmen aus der Form herausgehoben und mit aufgefaserten und in Harz getränkten Hanfseilen, gekauft auf ghanaischen Märkten, umwickelt. Sie stabilisieren und fixieren die Konstruktion. Nach dem Aushärten kommen an den Verbindungsstellen Raspel, Feile und Schleifpapier zum Einsatz. „So entsteht die markante wurzelholzähnliche Optik“, sagt Habke. Der Rahmen wird auf seine korrekten Dimensionen in Ghana geprüft und abschließend mit einem getönten Lack behandelt, der ihn vor Wind und Wetter, Salzwasser und Alltagseinflüssen schützt. Rund 80 Stunden Handarbeit stecken dann in einem Bambusrahmen.

Bambushölzer in der Trocknungsphase

„Es läuft viel herzlicher, freundlicher, liebevoller ab, als es in Deutschland meist der Fall ist.“

Dominik Hansen
Dominik Hansen in der Kieler Manufaktur

Hier in Kiel liegen dauerhaft mehrere Hundert Exemplare auf Lager. Per Seefracht kommen immer wieder neue Lieferungen von den Partnern aus Ghana hinzu. Aus ihnen fertigt Dominik Hansen auf Kundenwunsch Damen-, Herren-, City-, Trekking-, Cross-Road-, Rennrad- und E-Bike-Modelle. Für ein Rennrad benötigt der Zweiradmechanikermeister fünf Stunden, ein E-Bike schafft er in acht Stunden. „Wir haben hier die Prozesse optimiert. Unsere Azubis bereiten Teile wie Reifen und Gepäckträger vor, um die Aufbauzeiten zu reduzieren“, sagt der 30-Jährige. Auch er hat die Fertigung in Ghana bereits besucht, berichtet vom fachlichen Austausch mit den Arbeitern, vom Feilen und Schleifen bei 40 Grad Lufttemperatur. „Erstaunt hat mich, dass die Menschen so viel aufgeschlossener sind als wir Europäer. Es läuft viel herzlicher, freundlicher, liebevoller ab, als es in Deutschland meist der Fall ist“, erinnert er sich.

Ghanaischer Besuch in Kiel: Pläne für die Zukunft schmieden

Den regelmäßigen Reisen zum Partner in Ghana folgte Anfang Oktober der erste Besuch Dansos in Kiel. „Für den gegenseitigen Respekt war das eine sehr wichtige Zeit. Uns flößt es Respekt ein, wenn wir in Ghana sehen, wie durch unseren Partner die Produktionsstätten wachsen. Und genauso tat es gut zu zeigen, dass wir hier in Deutschland inzwischen mit 20 Mitarbeitern agieren, ein cooles Büro und einen tollen Showroom haben, mit mehr als 100 Fachhändlern in mehreren Ländern Europas kooperieren“, sagt Schay. Und Danso kommentiert: „Deutschland ist unser größter Absatzmarkt. Die Partnerschaft ist eine Win-win-Situation auf vielen Ebenen, und der Austausch und unsere Erfolge machen mich glücklich.“

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Als Expertin für globale Partnerschaften in der Entwicklungszusammenarbeit unterstütze ich Sie dabei,Projekte und Partner vor Ort zu finden und einen Austausch auf Augenhöhe zu gestalten.

Katharina Desch
Promotorin für globale Partnerschaften und Entwicklung

Bündnis Eine Welt
Schleswig-Holstein e.V. (BEI)

Dachverband entwicklungspolitischer Organisationen


www.bei-sh.org/globalepartnerschaften

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