Schweine, Schlepper, SDGs: Landwirtschaft zwischen Tradition & Innovation

Autorin: Lea Kleymann

Warum mache ich eigentlich Interviews mit Landwirt*innen?

Gute Frage! Wenn wer weiß, wie es um die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein (S-H) steht, dann die Landwirt*innen zwischen Marsch und Geest! Was treibt sie an und was um? Wie bauen sie an und was sind die Besonderheiten in S-H?

Ich möchte diesen Fragen auf den Grund gehen und natürlich in Kontakt treten mit den Landwirt*innen. Nicht über, sondern mit ihnen reden und dadurch das Handwerk und die Personen, die dahinterstehen, besser verstehen und kennenlernen. Und natürlich möchte ich mit ihnen ebenfalls über die UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals oder kurz SDGs) sprechen. Sind die überhaupt in der Praxis angekommen? Was wissen die Landwirt*innen hier in S-H über die UN-Nachhaltigkeitsziele?

Ich bin Lea, Mitarbeiterin des BEIs und arbeite seit einigen Jahren zum Thema Landwirtschaft und SDGs auf regionaler Ebene.

Warfthof Wollatz

Logo von ONE-Fairtrade

Mein erstes Interview war ein Herantasten, ein erster Versuch, bei dem Fehler gemacht werden durften. Dafür bin ich zum Warfthof Wollatz nach Süderdeich an die Nordseeküste gefahren. York Wollatz hat uns bereits Ende Mai über den Hof geführt und uns einige Besonderheiten seines Betriebs gezeigt, der nach Bioland Kriterien bewirtschaftet wird.

Schon bei der Fahrt auf den Hof fällt auf, dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Betrieb handelt. Ungewöhnlich viele Menschen und Hühner laufen frei herum. Der Warfthof Wollatz ist nicht nur ein landwirtschaftlicher Betrieb, sondern auch ein Ferienhof. Denn das ist York wichtig, die Diversifizierung, d.h. eine breite Aufstellung des Hofes. Mit ein paar Schweinen auf einem mit Stroh eingestreuten Bereich verkauft er die „Idylle der Landwirtschaft“ und das, was die Menschen sehen wollen. Ihm scheint bewusst zu sein, was er macht und warum er dies tut. So können alle Tiere in den Gehegen/Ställen immer besucht werden und es gibt morgens um 9 Uhr die Möglichkeit beim Füttern dabei zu sein. Ganz im Ferienhof-Stil.

York bewirtschaftet mit seinen Mitarbeiter*innen, die aus vielen Ländern der Welt kommen, insgesamt 130 Hektar. Dabei wird zu gleichen Teilen Gemüse und Getreide/Kleegras angebaut. Er befolgt eine achtjährige Fruchtfolge, d.h. dass er sechs unterschiedliche Früchte hat: Kleegras, Kohl, Kartoffeln, Erbsen, Möhren und Hafer, wobei Hafer zweimal in der Fruchtfolge vorkommt. Alle acht  Jahre wiederholen sich somit die Kulturen auf dem Feld (mit der Ausnahme des Hafers). 


Mit schönen Anekdoten, die doch immer einen Ernst und eine Prise Ehrlichkeit mitschwingen lassen, führt York uns über seinen Hof. So erzählt er uns, dass er den Feriengästen immer seinen Hafer zeigt, wenn dieser auf dem Feld steht. Hafer war der Antrieb, der Treibstoff der Gesellschaft vor der Industrialisierung. Als die Autos kamen, wurde der Hafer nicht mehr in den Mengen benötigt. Andere Rohstoffe wurden wichtiger, wie Kohle, Öl und Gas. Gleichzeitig, so erzählt er, stieg die Nachfrage nach tierischen Produkten und die landwirtschaftlichen Flächen waren frei. Die freien Flächen konnten nun für den Anbau von Tierfutter genutzt werden. Es wurde demnach nicht nur der Anbau von Hafer gegen den von anderen Getreidesorten ersetzt, sondern auch der Zweck und die Verwendung der Sorten änderte sich. Dadurch gab es andere Anreize, Ressourcen zu verbrauchen. Und das ist doch der eigentliche Knackpunkt! Durch den erhöhten Konsum tierischer Produkte stieg die Nachfrage nach diesen, aber damit auch die Nachfrage nach Futtermitteln bei den Landwirt*innen. Eine historische Entwicklung, die bis heute gravierende Folgen nach sich zieht!

Biodiversität

Auf dem gesamten Warfthof Wollatz gibt es immer wieder kleine Teiche, die extra angelegt wurden. Bestimmender Gedanke hierfür war der Erhalt oder die Wiederherstellung der Biodiversität. Wie kann der*die Landwirt*in Insekten, Amphibien und Vögel zurück auf den Hof und dadurch in die Natur bringen? Die Anpflanzung von Bäumen, wie Haselnuss, Walnuss oder Pappel auf und neben den Flächen sind ein wichtiger Bestandteil einer ganzheitlich gedachten Landwirtschaft für York. „Ich schwärme von Agroforst, aber es ist nicht so einfach umsetzbar,“ so der Landwirt. 

Agroforstwirtschaft
Mit dem Begriff Agroforstwirtschaft oder kurz Agroforst wird eine Wirtschaftsweise beschrieben, in der nicht nur Ackerkulturen und Tiere auf einer Fläche stehen, sondern auch Gehölze (Bäume und Sträucher). Dadurch gibt es nicht nur ökologische, sondern ebenfalls ökonomische Wechselwirkungen, die von Landwirt*innen genutzt werden können. Die Agroforstwirtschaft erlebt momentan eine Art Blüte. In S-H gibt es einige Höfe, die bereits mit dem Konzept arbeiten. Leider sind die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen schwierig.
(Quelle: Deutscher Fachverband für Agrofortwirtschaft)

Die SDGs & der Klimawandel in Dithmarschen

Als wir auf seinen Kohlanbau zu sprechen kommen (bei York auf 20 ha in 2022), geht es natürlich auch um Wasser und dessen Verfügbarkeit. Hier macht sich der Klimawandel besonders bemerkbar.

Warum wächst der Kohl auf der Marsch so gut? Was hat er in Dithmarschen, was er woanders nicht hat? York erklärt, dass Kohl es nicht furchtbar warm mag. Zudem sind tiefgründige und sehr fruchtbare Böden (schwer bis mittelschwer), Westwind (kühle Witterung) und Böden, die von der Nordsee angespült wurden, optimal für die Frucht. Kohl braucht zudem eine hohe Wasserverfügbarkeit. Aber „die steigenden Temperaturen und der Klimawandel machen uns ganz klar zu schaffen. Fast alle Betriebe sind mit Beregnungsmaschinen ausgestattet, die ernsthaft Gemüse machen. Wir sind zu nah an der Nordsee, das Grundwasser können wir hier nicht verwenden, weil es Salzwasser ist," so York.

Weil hier schon deutlich die Auswirkungen der Klimakrise zu spüren sind, haben sich einige seiner Berufskolleg*innen zusammengeschlossen, um ein Speicherbecken für Wasser zu finanzieren. Das wird eine Menge kosten, aber davon hängt die Zukunft des Gemüseanbaus in der Umgebung des Warfthofs ab, so York. Auch über die Sustainable Developement Goals haben wir mit York gesprochen. Besonders betreffen ihn als Landwirt die Ziele, die mit dem Klimawandel direkt verbunden sind, denn der hat konkreten und direkten Einfluss auf seine Arbeit.

SDGs
Um globale Gerechtigkeit im Landwirtschafts- und Ernährungssektor zu schaffen, muss es Veränderungen geben. Die Implementierung der Sustainable Development Goals (SDGs) auf struktureller Ebene könnten dabei helfen. Die SDGs wurden im September 2015 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen als Agenda zur nachhaltigen Transformation unserer Welt beschlossen und von 193 Mitgliedsstaaten verabschiedet. Bis 2030 sollen die insgesamt 17 Ziele mit 169 Unterzielen umgesetzt und eine nachhaltige Entwicklung auf wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ebene erreicht werden. Dies beinhaltet sowohl die Umsetzung im eigenen (Bundes-)Land als auch die Realisierung auf globaler Ebene. Denn nahezu alle 17 Einzelziele können nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Staatengemeinschaft zusammenarbeitet.

Produkte auf Warfthof Wollatz

2022 hat York auf 130 ha folgendes anbauen können: 20ha Kohl, 17ha Möhren, 15ha Erbsen, 8ha Kartoffeln, 40ha Hafer und Rest Kleegras für die Stickstofffixierung.

Wie oben schon erwähnt, gibt es auf dem Warfthof Wollatz, Tiere zum Anfassen. Aber keine klassische Haltung, sondern, so sagt York: „Unser Produkt ist auch Idylle. Unser Produkt ist aber auch industrielle Landwirtschaft, das ist nichts anderes, was wir hier machen![…] Ich kann industrielle Landwirtschaft machen und es auch gut machen.“ Und das macht ihn so nahbar und vertrauenswürdig. Industrielle Landwirtschaft wird häufig in den Medien verschrien als etwas Schlechtes, das ausschließlich negative Auswirkungen auf Tiere oder Natur hat. Hier haben wir etwas anderes gesehen. Industrielle Landwirtschaft geht mit Biodiversität und Gewinn nach Biolandstandards. Dabei hilft ihm sicherlich auch die diverse Aufstellung seines Hofes, die York in Zukunft beibehalten und ausbauen möchte.

Industrielle Landwirtschaft
Es gibt keine einheitliche Definition für den Begriff der „industriellen Landwirtschaft“. Trotzdem gibt es Merkmale, die auf eine industrielle Landwirtschaft hindeuten: ein hoher Spezialisierungsgrad, hoher Kapitaleinsatz und eine standardisierte Produktion von Waren.
(Quelle: Cramon-Taubadel, Stephan von; Holst, Carsten; Lakner, Sebastian (2011): Probleme moderner Landwirtschaft (127), pp. 52–57.)

 

Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir eine nachhaltige, zukunftsfähige Landwirtschaft in Deutschland wollen. Denn wenn die Landwirtschaft im (Bundes-)Land bleiben soll, müssen monetäre Anreize geschaffen und ausgebaut werden. Das ist die Frage, die wir uns gesamtgesellschaftlich stellen müssen und die einen politischen Rahmen benötigt.

Wenn York fragt: „Möchte ich mehr Geld ausgeben für eine schöne Landwirtschaft?“, dann ist die Antwort ein glockenklares „ja“.

Und so fahren wir von der Nordsee wieder an die Ostsee nach Kiel. Mit einer Menge Gedanken, einer schönen Begegnung und einem wunderbaren Gespräch mit einem Landwirt, der für und mit der Natur arbeitet. Um es noch einmal mit Yorks Worten zu sagen: „Wir haben viel zu lange die Natur immer weiter eingeschränkt.“

Ein besonderer Dank geht an unsere Praktikant*in Jana, der*die mich begleitet hat zu diesem ersten Interview.

Wer mehr über den Warfthof-Wollatz erfahren möchte, kann auf der Internet-Seite vorbei schauen:
Der Warfthof-Wollatz ist hier zu finden.

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